Auf den ersten Blick sieht das Mural in München eher aus wie ein Resozialisierungsprojekt für Sprayer. Doch die bärtigen, tätowierten Freaks in der Küche sind Künstler ganz anderer Art: Das Mural ist eine kulinarische Überraschung.
Das Konzept: Restaurant, Galerie, Event Space, oder …? Egal!
Das Mural als Restaurant zu bezeichnen greift eigentlich zu kurz. Welches andere Restaurant wurde von international renommierten Graffiti-Künstlern gestaltet? Welches andere Restaurant hat bei Bedarf auch noch ein ganzes Museum zum Aufschließen parat, das auch für Events gebucht und „bekocht“ werden kann? Und in welchem anderen Restaurant sehen die Köche aus wie bärtige, langhaarige Delinquenten, denen man eigentliche kein scharfes Messer und offenes Feuer anvertrauen möchte?
Im Mural vergisst man die Klischees, wie ein gehobenes Restaurant auszusehen hat, schnell. Statt Klischees mit langem Bart gibt es hier nämlich Qualität mit langem Bart.
Die Location: Mitten im Wohnzimmer des Münchener Schicks
Das Mural liegt in der Hotterstraße, einen Steinwurf in südöstlicher Richtung vom Stachus. Das ist praktisch mitten im Wohnzimmer der Münchener Society – aber gut versteckt in einem Hinterhof. Nicht in einer jener generischen Einzelnutzungsimmobilien, die nach Trend belegt werden, sondern in einem nicht minder avantgardistischen Etablissement: Das Mural gehört zum MUCA – „Museum of Urban and Contemporary Art“, dem ersten seiner Art in Deutschland, entstanden auf dem Gelände eines alten Umspannwerks.
Wer nun denkt: Urban Art, ach so, Graffiti und Zeugs, hat erst mal nicht ganz Unrecht. Doch wer noch nie „Stadtkunst“ von der Qualität gesehen hat, wie sie hier zu bewundern ist, wird seine Glaubenssätze schnell überdenken. Und kann damit im Gastraum des Mural, dem „Museums-Café“ der anderen Art, gleich weitermachen. Denn mit der Location hören die Überraschungen noch längst nicht auf.
Die Macher: Unter Freaks
So wie die besten Werke der Street Art nicht improvisiert sind, sondern durchdachte Kunstwerke aus den Händen echter Meister, so ist auch der Erfolg des Mural von langer Hand geplant und professionell umgesetzt. Hinter dem Restaurant stehen nämlich keineswegs Sozialarbeiter mit künstlerischer Ader, sondern die Macher der Szenerestaurants ISSES in Schwabing und Kopper in der Maxvorstadt.
Erfahrene Gastro-Profis, also. Das erklärt einiges.
In den Ohren der langhaarigen, rauschebärtigen, tätowierten Typen, die hier die Pfannen schwingen und die adrett angerichteten Teller servieren, mögen jene Ohrringe stecken, in denen man bequem eine großzügige Portion Spaghetti abmessen kann. Aber meine Güte – diese Freaks wissen, was sie tun.
Die Qualität: 4-Gänge-Dinner im Test
Ich gönne mir und meiner Begleitung das Dinner-Menü mit vier Gängen. Los geht es mit einer vegetarischen Jakobsmuschel. What? Ja, wie gesagt: Gewöhnlich gibt’s woanders. Die äußerst realistisch daherkommende Nicht-Muschel entpuppt sich als japanischer Daikon-Rettich mit Süßkartoffel-Püree, Zuckerschoten-Jus, schwarzem Senf, Algensalat und Zweierlei von der geschmorten Gurke mit Dill.
Das Seafood-Experiment aus der vierten Dimension schmeckt zwar nicht nach Jakobsmuschel, aber dafür ausgezeichnet. Eigentlich, scherzt der Kellner mit seinem charmanten amerikanischen Akzent, handelt es sich im Großen und Ganzen um eine Hommage an die Gurke als solche. Mission accomplished.
Geeiste Tomatenessenz gibt es als Shot zum Trinken als Begleitung zum zweiten Gang: Kabeljau an Confit vom Fenchel mit Minzöl und Pinienkernen ergibt einen leichten, aber sehr intensiven und farbenfrohen Teller.
Das Iberico-Schwein mit buntem Tomatensalat und schwarzem Dal ist mit Parmesan-Chip, getrocknetem Salbeiblatt und Basilikum garniert und schwebt auf einem Lemon Curd. Bei diesem versaut leckeren Fleischgang vermisse ich zwar die angekündigte Sardelle, aber ich bin sicher, sie ist in irgendeinem Aggregatzustand präsent.
Das Dessert ist vergleichsweise bodenständig, aber nicht minder fein: Espresso-Mocca-Mousse mit Fleur de Sel, Estragon, gemischten Beeren, hausgemachtem Bananenbrot und einer Himbeer-Olivenöl-Emulsion.
Der Service: Herzlich professionell
Die Preise sind sowohl gemessen an der Qualität als auch am Düsseldorfer Umfeld auf diesem Niveau als absolut vernünftig zu bezeichnen. Hauptgänge – ob vegetarisch, Fisch oder Fleisch – liegen zwischen 16 und 21 Euro. Süßspeisen und Käse zum Abschluss liegen einheitlich bei 13 Euro.
Das 5-Gang-Menü Chef’s Choice (nur tischweise bestellbar) darf angesichts der Kreativität und dem recht hohen Beschaffungsaufwand sogar als günstig gelten und lohnt sich definitiv.
Das Preis-Leistungs-Verhältnis: Fair kalkuliert
Am Ende bezahle ich für zwei Personen mit Vier-Gänge-Menü, Gin Tonic zum Aperitif und eine Flasche tollen offenen Rosé aus Österreich insgesamt 186 Euro. Für gehobene Küche in der Münchener Innenstadt absolut akzeptabel. Die aufgestockte Variante mit sechs Gängen ist für 85 Euro pro Person zu haben, die Gänge aber auch einzeln bestellbar. Besonders günstig ist das Lunch im Mural mit Gerichten zwischen 7 und 12 Euro, und sonntags wird ein ähnlich erschwinglicher Lunch serviert.
Der Service: Wunderbar unprätentiös
Der Service ist aufmerksam, versiert, freundlich, entspannt und vor allem ganz wunderbar unprätentiös. Weiße Handschuhe zum Bad-Boy-Look, das ist eine Botschaft: Wir machen Qualität – aber wir sorgen dafür, dass euch dabei nicht langweilig wird.
Das Fazit: Die Kalorien wert?
Das Mural ist derzeit noch ein Geheimtipp in der Münchener Szene. Den meisten fällt es erst auf, wenn sie sich ins MUCA trauen. Das ist gut für Wiederholungstäter, die noch relativ leicht einen Tisch bekommen – aber schade für die Macher, denn das Mural hat viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Wer nicht nur künstlerisch, sondern auch kulinarisch mal wieder etwas Neues versuchen möchte, ist hier gut aufgehoben. Innovative Küche in cooler Atmosphäre und vor allem: mit Fokus auf der Qualität statt auf dem Glamour-Faktor – dieses Gesamtpaket ist eine dicke Empfehlung wert.
#Wertung
Die Bewertung erfolgt nach subjektiven und zugleich professionellen Gesichtspunkten aus meiner Perspektive als langjähriger Branchen-Insider anhand des Net Promoter Score auf einer Skala von 1 (unwahrscheinlich, dass ich das Unternehmen einem Freund oder Kollegen empfehlen würde) bis 10 (äußerst wahrscheinlich).