Der dekadente und elegante Bohème-Lifestyle der 1920er Jahre fasziniert die Menschen noch heute. Im aufregenden Hotel Provocateur in Berlin erwachen Retro–Träume zum Leben, aber nicht nur die: Hier darf jeder nach seiner Fasson glücklich werden.
((Quelle für alle Bilder (s. Dateinamen): https://www.gekko-group.de/pressepost/provocateur/))
#Wertung
Die Bewertung erfolgt nach subjektiven und zugleich professionellen Gesichtspunkten aus meiner Perspektive als langjähriger Branchen-Insider anhand des Net Promoter Score auf einer Skala von 1 (unwahrscheinlich, dass ich das Unternehmen einem Freund oder Kollegen empfehlen würde) bis 10 (äußerst wahrscheinlich).
Work hard, Play hard
Manche Fantasien müssen Fantasien bleiben. Mein Wunsch, einmal im Leben ins legendäre Nachtleben der Bohème der 1920er Jahre einzutauchen, gehört dazu. Es ist ein Traum, den ich mit vielen Menschen teile. Mit vielen Geschäftsreisenden zum Beispiel, die es mit „work hard, play hard“ gern einmal wörtlich nehmen würden. Die sterilen 3- oder 4-Sterne-Business-Hotels, in die sie oft gesteckt werden, vertreiben noch den letzten Funken Abenteuerlust. Und das in Berlin – der Stadt, der nichts Menschliches fremd ist!
Auch viele Touristen kommen nicht nur wegen dem neuen, sondern auch wegen dem alten Mythos Berlin in die Hauptstadt – Serien wie „Babylon Berlin“ sei Dank. Eigentlich erstaunlich, dass trotz der Popularität des Themas noch kein Hotelier dieses Erbe im großen Stil aufgegriffen hat. Vielleicht aus Sorge, ein solches glamourös-frivoles Konzept wäre nicht zeitgemäß? Wer so gedacht hat, wird nun eines Besseren belehrt: Das 2017 eröffnete Hotel Provocateur im Berliner Zentrum-West ist ein Tempel jener Lebenskunst der 20er – für die Bohème, aber auch für die Business-Abenteurer von heute.
Sinnlichkeit satt
Das Provocateur ist ein Projekt der Gekko Group von Micky Rosen und Alex Urseanu. Es ist sozusagen der „burlesque“ Bruder ihrer Erfolgsmarke Roomers. Wie alle Hotels der beiden „Hoteliers des Jahres“ auf pralle Lebensfreude ausgelegt, legt das Provocateur bei der Sinnlichkeit noch mal eine Schippe drauf – im Gegensatz zu den Roomers-Häusern jedoch mit 4 statt 5 Sternen. Fällt der Unterschied auf? Nicht wirklich.
Das Provocateur ist eine Hommage an die 20er. Es soll, verrät mir General Managerin Julia Himburg im Gespräch, die Salonkultur jener kreativen, lebenslustigen Epoche wiederaufleben lassen: in all ihrem Glamour, ihrer Sinnlichkeit, ihrer Frivolität – gepaart mit dem rauen, kosmopolitischen Charme des heutigen Berlins.
Ein lebendiges Gemälde
Das Interior des Hotels stammt vom Amsterdamer Designer Saar Zafrir. Es macht dem Namen „Provocateur“ alle Ehre, denn hier ist der Regelbruch Programm. So wurde in diesem Hotel einfach mal auf die Lobby verzichtet. Warum? Weil der Gast beim Betreten des Hotels sofort in die verführerische, geheimnisvolle Atmosphäre eines Salons mit seiner aufreizenden Plüschigkeit und seinen dunklen Ecken hineingezogen werden soll.
Meine erste Wahrnehmung ist der Duft, der den gesamten Aufenthalt begleiten wird: Wie eine sinnliche Aura legt er sich über die Tage wie die Nächte. Wonach es riecht? Auch wenn es merkwürdig klingen mag: Es riecht nach Paris. Der Duft ist, wie viele gestalterische Elemente des Hotels, eine Hommage an das legendäre Hôtel Costes am Place Vendôme in Paris – und tatsächlich transportiert er mich dorthin.
Gleich rechts neben dem Eingang liegt das Herzstück des Hotels: die Bar. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt des Provocateur – hier spürt man die umfangreiche Erfahrung der Gründer mit Bar-Konzepten. Dass die Rechnung aufgeht, beweist die Auszeichnung als „Hotelbar of the Year“ bei den Mixology Awards 2019. Die üppigen Samtmöbel verschlucken mich und saugen mich in die Nacht, und der betörende Metropolis-Cocktail tut sein übriges. Die schummrige Beleuchtung und die riesige, glitzernde Bar im Zentrum des Raums wirken wie aus einem Film noir gerissen. Fast warte ich darauf, dass draußen vor dem Fenster in der schwarzen Berliner Nacht ein Straßenmaler seine Staffelei aufbaut und diesen Augenblick festhält.
Zimmer mit Überraschungseffekt
Die Wohnerfahrung steht der Bar in Nichts nach: In einem Original-Aufzug von 1912 fahre ich auf die nächste Etage und ins vorige Jahrhundert. Mein Domizil, eines von immerhin 58 Zimmern und Suiten des von außen recht unscheinbaren Gebäudes, ist wie eine clevere optische Täuschung: Groß ist es nicht, aber „grand“ wirkt es schon. Wie ein Szenenbild aus Moulin Rouge ist es reich an rotem Samt und Sonderbarkeiten wie einem Bett mit muschelförmigem Rückteil, einem Ottomanen und einer freistehenden Badewanne mit altmodischen Hebel-Armaturen. Souverän balanciert das Interieur auf dem schmalen Grat zwischen Glamour und Kitsch. Trotz des Retro-Themas muss ich auf nichts verzichten: Eine Nespresso-Maschine gehört genauso zur Ausstattung wie ein hochwertiger Bluetooth-Speaker und eine Regenwalddusche.
Der Clou verbirgt sich hinter einem unauffälligen kleinen Schalter neben dem Bett: Als ich ihn nichtsahnend umlege um zu prüfen, zu welcher Lampe er gehört, aktiviere ich damit den „Provocateur Mode“: Plötzlich wird der Raum in aufreizendes Licht getaucht, sanfte Lounge-Musik erzeugt eine sinnliche Atmosphäre, und wie von Zauberhand werden in einer Video-Installation Bilder des Berliner Künstlers Kai Stuht auf einen Bilderrahmen projiziert, wie ich sie auch auf den Fluren entdeckt habe. Ein Hotelzimmer, das mich überrascht: Das kommst so selten vor, dass es allein schon die Reise wert ist!
Der relativ frisch renovierte Spa-Bereich ist der Größe des Hauses angemessen. Es gibt drei Saunen, ein Dampfbad und auch ein Hallenschwimmbad, das das reale Bergpanorama auf der Fensterseite durch ein Strandpanorama in Gemälde-Form auf der anderen Seite kontrastiert. Der Fitnessraum ist klein, aber sehr gut ausgestattet, so wie vieles in diesem Haus petit und doch grand ist.
Neben den 14 Zimmern und 24 Suiten verfügt das Hotel in einem separaten Gebäude auch über mehrere „Residences“ – großzügige, luxuriöse „Serviced Apartments“, die man sowohl mieten als auch zum einem Preis von 1,3 bis 3,5 Millionen Euro erwerben kann.
In der Küche wirkt ein Star der Berliner Szene
Ein weiteres Highlight ist das gastronomische Konzept des Restaurants „Golden Phoenix“. Denn hier ist ein Akteur federführend, der Berlin-Kenner aufhorchen lässt: Kein geringerer als der stadtbekannte Gastronom The Duc Ngo zeichnet für die innovative Kulinarik verantwortlich, die sich am besten als „Paris trifft China“ beschreiben lässt.
Etwa einmal im Monat gibt es eine Seated Dinner Burlesque Show mit der Burlesque-Gruppe „Gl’Amouresque“, die auch in der legendären Bar jeder Vernunft und dem Ballhaus Berlin regelmäßig anzutreffen sind. Die Gänge des Menüs sind genauso sündhaft attraktiv wie die Show. Wer einem langen Business-Tag eine lange, aufregende Berliner Nacht folgen lassen möchte, muss das Provocateur im Zweifel also gar nicht verlassen …
Sogar das Frühstück kann mich begeistern: Das Obst ist auf den Punkt gereift – selten genug sogar in Hotels mit einem Stern mehr. Die Auswahl an Käsen und Müslis ist reichlich und von überzeugender Qualität.
Schrille Typen mit Händchen für den Gast
Ist alles in diesem Hotel eine Hommage an die europäische Bohème vergangener Zeiten, macht der menschliche Faktor die Ausnahme: Die Mitarbeiter sind so Berlin und so heute, wie sie nur sein könnten. Jung, wild, großzügig tätowiert und gepierct, mit wilden Frisuren und unverstellt-authentischer Berliner Attitüde, sind sie zu meiner Überraschung aber auch echte Dienstleister im Herzen. Vielleicht sind es tatsächlich die Menschen im Provocateur, die dafür sorgen, dass bei aller Retro-Ausrichtung kein verstaubter Moment aufkommt. Die Gastgeber schaffen den Gästen ihren eigenen kleinen Kosmos: Im Provocateur wird eine neue Berliner Bohème zelebriert.
Zu ihr gehört auch General Managerin Julia Himburg: Ein echtes Berliner Gewächs mit Erfahrung in der hiesigen Hotellerie, aber eben auch eine Frau mit internationalen Wurzeln und Sinn für das Besondere. Sie lässt ihren Mitarbeitern Spielraum, damit sie dem Provocateur eine besondere Note verleihen können – und das geht nur im Service.
Ein Hotel, so spannend wie Berlin
Was mich am Provocateur so begeistert ist nicht die Atmosphäre allein, nicht das Interieur allein und auch nicht die Gastronomie oder der Service allein; es ist das Gesamtpaket. In diesem Hotel, das an Kontrasten reich ist, passen all die kleinen Spitzen, Reize und Provokationen auf wundersame Weise perfekt zusammen. Hier kommt der Tourist auf der Suche nach etwas Besonderem genauso zum Zug wie der Business-Reisende, der sich abends endlich mal nicht langweilen will.
Eines hat das Haus in Charlottenburg nicht: Aussicht. Wer es auf ein Berlin-Panorama oder eine hippe Nachbarschaft abgesehen hat, ist hier falsch. Das Provocateur ist nicht diese Art von Hotel – es ist seine eigene kleine Welt in vier Wänden.
Dafür ist es ein Hotel, dass es faustdick hinter den Ohren hat – in welchem Sinne auch immer Sie das verstehen möchten. Und das ist eines der besten Komplimente, die man einem Hotel machen kann. In diesem Hotel spielt die Hauptstadt mit ihren Reizen. Wer seinen Koffer in Berlin an einem besonderen Ort lassen möchte, wird im Provocateur fündig: So spannend kann Hotel auch heute noch sein.
Die Wertung auf der Travelgrand-Skala:
- Ausdrückliche Reisewarnung
- Besser als unter der Brücke
- So la-la, nicht O-la-la
- Meckern auf hohem Niveau
- Wenn’s nur immer so wäre
- Ganz großes Kino